Kommentar/ Commentary

Texts

21.01.2021
[German]
Kommentar zu der Markus Lanz Sendung vom 19.01.2021 mit Ralph Brinkhaus, Dr. Jana Schroeder und Robin Alexander.

Mit der Salamitaktik durch die Dauerwelle und scheibchenweise nachlegen. – Eine Ode an die deutsche Sprache.

Als deutscher Expat, der sich dieser Tage auf einer der Inseln aufhält, die bei Markus Lanz in der Sendung vom 19.01.2021, als solche hervorgehoben wurde, ist es eine absolute Wonne den verschmitzten, deutschen Gesichtern zuzusehen wie sie ernsthaft, aber auch mit einer gesunden Menge an deutschem (Galgen-)Humor über die aktuelle Corona-Situation fachsimpeln. Die einen mit sympathisch-süffisantem, westfälischem „jetzt müssen wa aber ma" Jargon. Die anderen mit absurd-komischen Personifikationen wie: "Dann guckt noch das brasilianische Virus um die Ecke.", welche zumindest bei Markus Lanz und mir einen Lacher auslösten. Zu albern ist das Bild von einem kleinen Lausebengel, deren rotzfreche Visage mit herausgestreckter Zunge am Türrahmen erscheint. Um Sie richtig in die bildliche Vorstellung mitzunehmen, rufe ich Ihnen den Lümmel in Loriots „Weihnachten bei Hoppenstedts“ in Erinnerung, namentlich Dickie.

Dickie ante portas. Und, ex post ist leichter als ex ante, wie einer der Gäste bei Markus Lanz, Dr. Jana Schroeder, in Bezug auf die katastrophale Ausnahmesituation, „Pandemie“, richtig herausstellte. Das ehrwürdige Latein hüllt die plumpe, deutsche Übersetzung, „Nachher ist man schlauer als vorher.“ in ein intellektuelles Gewand. Aber nicht mit Lanz. Der zieht mit einem gnadenlosen „Ja, das ist klar; nachher ist man schlauer als vorher.“ am Zipfel und wusch - aus Caesar wird ein Horst.
Diese deutsche Direktheit! Dieser Pathos!

Screenshot aufgenommen am 21.01.21 auf https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-19-januar-2021-100.html

Der Name Horst fiel in dieser Runde natürlich auch. Dieser scheint ebenso fest in der deutschen Sprache verankert zu sein wie diverse, skurrile Sprichwörter, zudem er auch gleichzeitig ein Schimpfwort ist. So kann man Horst heißen und dazu noch ein Horst sein, was äußerst ungünstig wäre, aber durchaus, teils unwissentlich, vorkommt. Horst und Erika heißen nach Robin Alexanders Geschichte über den verkorksten Datenschutz in Deutschland die Über-80-jährigen. Auch dies löste rundum Lacher aus. Aber wieso eigentlich? Dies frage ich mich, wenn meine britische Freundin mich fragt, worüber ich da lache. Die Antwort: „They are funny names because they are a bit shit.“ scheint es irgendwie nicht ganz zu treffen. Da hängt mehr dran, an Historie und Persönlichkeiten. Da stereotypisieren wir uns selbst. Da nehmen wir uns selbst auf die Schippe und lachen uns dabei ins Fäustchen.

Besonders komisch ist es, wenn in einem Atemzug Wortkunstwerke wie „Kaugummilockdown“ und Salamitaktik“ fallen und niemand mit der Wimper zuckt. „Jetzt schürfen wir mal tief in der Sache“, wie Ralph Brinkhaus selbstironisch mit einem spitzbübischen Grinsen sagte. Wie keine andere, bietet die deutsche Sprache die Freiheit, durch das ewige Aneinanderreihen von Nomen, neue Wörter zu schaffen. So kann ein „Kaugummilockdown“, der sich zieht, sofort als literarisches Bild verstanden werden und der gemeinschaftlichen Belustigung dienen. – Man versteht sich.

Diese spontanen Wortzusammensetzungen und Anwendungen klappen jedoch nicht immer. So geht dies beispielsweise bei der typisch für die deutsche Sprache langen Wortzusammensetzung „Eierschalensollbruchstellenverursacher“, jedoch nicht unbedingt bei der Anwendung „Dauerwelle“ von Dr. Jana Schroeder auf eine nicht enden wollendende Pandemie. Im kollektiven Sprachgedächtnis zu tief verankert wird wohl die Assoziation mit der einst als aus der Mode geraten verpönten 80er Jahre-Frisur sein. Wie Horst und Erika gehört die Dauerwelle zu der Reihe Wörter, die allgemein bekannt und einfach ein bisschen witzig sind. Das hat was Ulkiges und Schrulliges, etwas, womit wir gut können.

Hier möchte ich den Gedanken anbringen, dass die zuvor angesprochene deutsche Direktheit ganz und gar nicht einer hierzulande (Großbritannien) fälschlich angenommenen Unhöflichkeit gleichkommt und auch nicht dem unbeholfenen Benehmen eines Elefanten im Porzellanladen, sondern vielmehr etwas sehr Leidenschaftlichem! - Einer bisher falsch verstandenen, spezifisch deutschen Leidenschaft für Effizienz! Einem Sturm und Drang fürs Vorankommen (bitte westfälisch aussprechen, mit Betonung auf dem „Vor“ und einem leicht gerollten „r“). Wir „kommen lieber in die Puschen“, als dass wir ewig und drei Tage elegante Debattierfähigkeiten erlernen. Wir sagen es lieber wie es ist, nennen das Kind beim Namen, statt eloquent-bezirzende Sätze vom Stapel zu lassen. Wir stehen lieber pünktlich auf der Matte, in matschigen Wanderschuhen, statt wie geleckt in Lederpantolette um 5 nach. Bei uns ist es schlicht schick ein bisschen horstig zu sein.

Da wird die Wortzusammensetzung „Salamitaktik“, die bei Markus Lanz in so trockener Art und Weise benutzt wurde, um schleppende politische Vorgänge zu beschreiben, bei niemandem Verwunderung auslösen. Da zeigt sich der berühmt-berüchtigte deutsche, trockene Humor. Vielleicht wird diese freie Anwendung von Sprache aber auch nur als trockener Humor verstanden, weil man von außen nur annehmen kann, dass wir bei so vielen Begriffen, die beispielsweise dem großflächigen Wortfeld Wurst entnommen sind, nur scherzen können. Wenn Humor nicht eindeutig als Humor wahrzunehmen ist, weil er so tief in eine Sprache und ihre Anwendung eingebettet ist, dass er fast ernst wirkt, dann ist er wohl trocken. Nun will ich Sie aber nicht länger durch den linguistischen Fleischwolf drehen.


Kurz und knackig gesagt: Wenn Bernie Sanders für seine unglamuröse Erscheinung bei Bidens Einschwörung, im Anorak á la Jack Wolfskin, mit Brief unterm Arm und in grob gemusterten, braunen Wollhandschuhen, im Internet gefeiert wird, dann ist die Welt auch bereit für uns Deutsche. Denn auch wir lieben es Zeit zu sparen und Termine zu verbinden. Wir lieben es zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Außerdem lieben wir Fäustlinge und multifunktionale Outdoor-Kleidung. So sehr, dass wir sie trugen bevor wir wussten, dass sie der neudeutschen Moderubrik „Outdoor“ angehören. Wir Deutschen sind, mit unseren wärmeisolierten Steppjacken, der horstigen Selbstironie und den unzähligen Redewendungen rund um die Wurst, der Bernie Sanders von Joe Bidens Einschwörung. Von uns kann man sich ruhig eine Scheibe abschneiden. 

[English version]

What do Bernie Sanders and Germans have in common?


In short: Both seem to prioritise multifunctional clothing and efficiency over adhering to a certain attire or dress code, which would otherwise guarantee emitting style and other, they would argue, unnecessary qualities.

Germans have long been stereotyped not only for their punctuality, but also for their efficiency and pragmatism, which is why the image of Bernie Sanders at Biden’s inauguration in his anorak and coarsely knitted mittens, holding onto a big letter with great determination, most definitely rings a bell. The passion for Jack Wolfskin coats in winter and Birkenstock sandals in summer (in autumn they are worn with socks), is one that Germans follow religiously, alongside the reliable sighting of a quilted gilet.  

Why, I wondered as a German expat, are we so obsessed with Bernie Sanders’ appearance at Biden’s inauguration on 20 January 2021? Social media was full of memes placing Bernie in all sorts of pictures, sitting with his arms crossed, as if he’s sat behind a market stall, selling homemade honey. Yet it was the newly elected US president’s inauguration he was sat at. It was an event that was certain to go down in history, documented by all leading national and international media outlets - an event of prestige and a sure opportunity to display values, power and, arguably, wealth to the US, but also to the world. Yet, there was Bernie, in his mud-brown-green anorak, done up to his chin, wearing those incredibly big mittens, and appearing to only be there for a stop-over before delivering the letter, conspicuously placed under his arm, wherever it needed to go or wherever it came from. 
Why, I wondered as a German expat, does no one notice the parallels to Germans? 

From our corner, I can testify that Germans love to combine trips to the post office with trips to an event or to the supermarket. Seldom did my family drive me anywhere at an age still too young to hold my own driver’s licence, when they didn’t need to run errands on the way. Waste was incredibly hated, and it would simply have been a waste to go somewhere without dropping something off around there afterwards, before or in-between. Whilst in the UK, the saying goes to kill two birds with one stone, Germans strike two flies with one swat. – Either way, what a waste it would be to kill or strike only one bird/ one fly with one stone/ swat? Equally, wouldn’t it have been a waste if Bernie Sanders had not taken his letter with him just for reasons of appearance? Especially in times of climate emergency, driving the car twice a day when errands could be combined into one drive, is no longer just tediously resisted by Germans, but widely understood as wasteful. I wouldn’t have been surprised if Bernie had come to the inauguration by bike, although we surely would have been so lucky to witness his bike lock and helmet hanging by his side.

While this passion for efficiency is something very German, I can also claim the mittens as a common German feature. Growing up, they were a steady companion on numerous afternoons in the snow. I always thought that they can really only be worn by children because they do have the effect of straitjackets on fingers where as children we would usually require parents or other "unmittened" adults around to do up our shoe laces or blow our red and runny noses. The glove forcing the hand into a fist with only the opposable thumb by design did feel terribly useless and, from an evolutionary point of view, rather like a step backwards. One only wears those gloves when being sure not to need to use one’s fingers too much. Bernie Sanders must have thought that. Or maybe he didn’t think at all because isn’t it the nonchalance, the boldness and the "unbotheredness" that is what fascinates us? The indifference and sheer non-existence of self-consciousness – something millennials can only dream of, having social media permanently telling them what they should look like, should eat, should drink and actually look like.

From our corner, I have to say: When the world, or social media, which, let’s be honest, makes up most of people's worlds at the moment, celebrates Bernie Sanders for his unbothered unapologetically unstylish appearance at Biden’s inauguration, then the world is ready to appreciate, and perhaps even, celebrate Germans as well. Or, perhaps Germans can find it in themselves to appreciate and celebrate themselves without being too self-deprecating. 

Oh, how we love saving time by combining errands! And how we love mittens, or as we call them “fistlings” [Fäustlinge], and outdoor clothes. So much so, that we wore them before we knew they were referred to as “Outdoor” and not just 'clothes'. Hell, we certainly didn't know about the trend, 'gorpcore', which apparently emerged from the normcore trend in 2010 which already re-constituted plain and pragmatic clothing as something to lust for. The current 'gorpcore' trend whose most prominent German representative is probably the fashion photographer Juergen Teller, is specifically referring to the kind of utilitarian parkas and backpacks one would wear on a hike while nibbling on nuts and dried fruit (named after the colloquial term for trail mix (“Good Ol’ Raisins and Peanuts”). Instead of just on a hike in the mountains, these parkas and puffer jackets and what have you are now worn to the supermarket and the bars. Perhaps this is why one hears more and more people going hiking or climbing. One can simply not know whether those people are going to hike up the Mount Everest or are going to Lidl - the gear is there either way. We love "outdoor clothes" so much, that we wore our Birkenstock sandals before the German business acquired its recently estimated net worth of more than 4 billion Euros. 

With functionality trending, Germans are high up in the trend game for a change - with our heat-insulated gilets, our unpolished, kooky demeanour and our endless sayings orbiting around the semantic field of sausage [Wurst], we are the undeterred Bernie Sanders at Biden’s inauguration. Wouldn't you want a slice?